Eine Meditation der Achtsamkeit
Der Frühsommer gehört zum Feuerelement – so lehrt es die Fünf-Elemente-Tradition der TCM. Jetzt ist die Zeit von Herz und Dünndarm, die Zeit für Freude und den natürlichen Fluss des Lebens. Aber ein von Schuld belastetes Herz kann weder Freude empfangen noch sich dem Fluss hingeben
Schuld ist ein Gefühl, das uns in vielen Formen und auf verschiedenen Ebenen begegnet. Manchmal ist sie konkret – wir haben jemanden verletzt, etwas versäumt oder eine Entscheidung getroffen, die wir bereuen. Manchmal ist sie diffuser: dieses nagende Gefühl, nicht genug zu sein. Nicht stark genug, nicht aufmerksam genug, nicht so, wie wir es gern gewesen wären..
Wenn Schuld das Sein selbst erfasst, wird sie besonders quälend. Das Gefühl, im Innersten „falsch“ zu sein, lässt sich schwer benennen. Es entsteht aus der Erkenntnis, anders zu sein als andere – anders zu denken, zu fühlen, zu reagieren. Diese existenzielle Schuld ist besonders schmerzhaft, weil sie nicht unser Handeln betrifft, sondern unser Sein selbst in Frage stellt.
Oft spüren wir Schuld, wenn wir in schwierigen Zeiten nicht reagiert haben, wie wir es von uns erwartet hätten. Wenn Überforderung uns gelähmt hat. Wenn Angst oder Erschöpfung stärker waren als unser Wille zu helfen. Wenn wir andere enttäuscht haben – oder uns selbst.
Schuld, die von außen kommt
Schuld kann uns auch treffen, ohne dass wir sie selbst erzeugt haben. Menschen, die mit ihren Fehlern nicht zurechtkommen, übertragen diese Verantwortung auf andere. Ein unbewusster Schutzmechanismus: Anstatt sich der eigenen Unzulänglichkeit zu stellen, wird die Schuld nach außen projiziert.
„Du hättest anders reagieren müssen.“ „Wenn du aufmerksamer gewesen wärst, wäre das nicht passiert.“ „Du bist schuld, dass ich so reagiert habe.“
Diese Schuldübertragung ist besonders perfide, weil sie oft in emotionalen Momenten geschieht, wenn wir ohnehin verletzlich sind. Wer mit der eigenen Schuld nicht umgehen kann, sucht Schuldige im Außen – meist bei denen, die am wenigsten Widerstand leisten.
Die wichtige Unterscheidung
In dieser Woche lade ich dich ein, einen ehrlichen Blick auf diese Gefühle zu werfen.
Wann spürst du Schuld?
Wofür fühlst du dich verantwortlich? Ist es etwas, das du bewusst verursacht hast – oder trägst du eine Last, die dir von außen auferlegt wurde?
Diese Unterscheidung ist entscheidend: Manche Schuld gehört zu uns, manche nicht. Manche Verantwortung liegt bei uns, andere wurde uns nur zugeschoben. Zu erkennen, welche Schuld wirklich unsere ist und welche wir nur übernommen haben, weil andere sie nicht tragen wollten, ist der erste Schritt zur Befreiung.
Vielleicht fühlst du dich schuldig, weil du in einer Krise nicht die Kraft hattest, die du brauchtest. Weil du jemanden im Stich gelassen hast, als er deine Hilfe brauchte. Weil du zu müde warst, um zuzuhören. Zu gestresst, um geduldig zu sein. Zu verletzt, um liebevoll zu reagieren.Diese Momente zeigen uns unsere Menschlichkeit. Sie erinnern uns daran, dass wir nicht unendlich belastbar sind. Dass auch wir Pausen brauchen, Verständnis, manchmal auch Nachsicht mit uns selbst.
Erste Schritte der Erkenntnis
Nehmen wir uns doch etwas Zeit, um die eigenen Schuldgefühle zu beobachten. Ohne zu urteilen, ohne sofort zu verändern. Nur schauen: Was ist wirklich meins? Was wurde mir auferlegt? Wo reagiere ich auf alte Muster, wo auf echte Verantwortung?
Diese Klarheit ist der Boden, auf dem nächste Woche, in unserer nächsten AusZeit etwas Neues wachsen kann: die Möglichkeit der Vergebung – mit dir selbst und mit dem, was war.
In unserer heutigen Auszeit beginnen wir mit dieser Selbstbetrachtung zu unserem heutigen Thema „Schuld“
Schuld und Vergebung geht über das Persönliche hinaus!
Manchmal reicht das Gefühl von Verantwortung über unser eigenes Leben hinaus. Als Menschen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, tragen wir ein historisches Erbe mit uns. Auch wenn wir persönlich keine Schuld an der Vergangenheit unseres Landes haben, tragen wir eine Verantwortung für das Erinnern und für die Art, wie wir heute mit dieser Geschichte umgehen.
Diese kollektive Dimension von Schuld und Verantwortung ist komplex, sie hat uns auch mit den Jahren eine Ohnmacht fühlen lassen und verbot uns ein stolzes Selbst-Bewusstsein für den Glauben an uns selbst.
Dabei sind unsere Großmütter und Väter und ihre Kinder unsere Eltern Mütter aus den dunkelsten Zeiten der Geschichte Deutschlands gemeinsam zusammen-gewachsen in eine starke Demokratie, eine Demokratie, die Menschenrechte verteidigt und ehrt.Eine Gesellschaft, die Pluralismus und Freiheit schätzt. Ein Land, das Verantwortung für seine Geschichte übernommen hat.
Diese Entwicklung ist nicht selbstverständlich. Sie ist das Ergebnis der Anstrengungen vieler Menschen über Jahrzehnte hinweg. Eine überragende Leistung, ein Wunder an gemeinsamer und gemeinschaftlicher transformativer Kraft.
Das verdient unseren Respekt – und mehr als das, auch die Erlaubnis für das Gefühl des Stolzes. Ein Stolz, der sich nicht gegen die Erinnerung und Verantwortung richtet, sondern neben diesen bestehen kann und für die Zukunft trägt.
Damit wir und unser Land wieder zu einer Gesellschaft zusammenwachsen kann, die im Positiven stolz darauf ist, was sie ist und wer sie ist und nicht allein auf das, was sie leistet.
„Wir wollen nicht, aus dem NEIN zum Schlechten, sondern aus dem Ja zum Guten leben“ – so der Philosoph Karl Jaspers 1945